Yehudi Menuhin

Abschied von einem Kosmopoliten

Mensch, Künstler, Yogi und Weltbürger / Zum Tod von Lord Yehudi Menuhin

Wer ihn Musizieren oder Dirigieren sah und hörte, wußte, daß Musik für ihn Hingabe und Meditation war, und mehr noch: ein seelisches Ausdrucksmittel seiner Liebe. Dieser körperlich kleine und bescheidene Mensch, dessen Aura von Warmherzigkeit den Raum erfüllte und noch intensiver beim Gespräch in der Hotelsuite als im großen Konzertsaal zur Wirkung kam.
Am 22. April diesen Jahres hätte Yehudi Menuhin seinen 83. Geburtstag in seinem Chalet im Schweizer Gstaad begangen. Dort, wo seine Frau Diana, Schriftstellerin ("Durch Dur und Moll") und in jüngeren Jahren Primaballerina, auf seine Rückkehr von der Deutschlandtournee wartete. Am Freitagmittag, den 12. März, verstarb Yehudi Menuhin überraschend an einem Herzinfarkt in Berlin.
Wir begegneten einander erstmals 1993 im Rahmen unserer Arbeit für die Vereinten Nationen. Ein Satz aus dieser ersten Begegnung mit dem Sonderbotschafter der Weltkulturorganisation UNESCO verblieb in der Erinnerung meines Tagebuches: ,,Wahrhafte Musik ist, wie wahrhafte Literatur, Ausdruck einer Menschheitskultur. Und als solches ist Musik weit jenseits des politischen Tagesgeschäfts und doch zugleich und zutiefst ein Kosmopolitikum." Daran glaubte er bis zuletzt. Und dies spiegelte sich auch in seinem Vorwort für die Dag Hammarskjöld Biographie wieder.

Unter dem Titel seiner Autobiographie "Unvollendete Reise" hielt der aus jüdischem Elternhaus stammende Weltbürger am 8. November 1992, am Vorabend des Gedenkens an Reichskristallnacht (1938) und Mauerfall (1989), nach den neuen Brandanschlägen auf Asylantenheime und Synagogen, im Berliner Renaissance-Theater seine Rede über das wahrhafte und übernationale Wesen deutscher Kultur:
Hölderlin, Mozart, Beethoven, Goethe und Schiller zitierend. Zehn Jahre zuvor, im Mai 1982, dirigierte der damals 66-Jährige im Yoga-Kopfstand zwei Minuten lang Beethovens Schicksals-Symphonie in der Berliner Philharmonie. Danach gab er Interviews über Yoga und gesunde Ernährung. Schon seit Jugendjahren befaßte er sich mit Körper- und Atemübungen sowie mit den klassischen Ragas der indischen Musikkunst. Die indische Musik verfügt über 72 Klangcharakter (Modi), während wir in Europa normalerweise nur zwei Modi, Dur und Moll, kennen. Gemeinsam mit dem indischen Meistermusiker Ravi Shankar kombinierte Menuhin schon in jungen Jahren europäische und altindische Klangformen.
Was hier hindurchtönt, und in vielen Nachrufen fehlt, ist die Spiritualität; nicht nur die seiner Musik, sondern die seines ganzen Lebens (für andere). Er sprach über die Quellen nur selten und kaum im größeren Kreis. Auch, daß er lange Jahre Vize-Ehrenpräsident der Weltföderalisten war, wurde in der breiten Öffentlichkeit nur selten wahrgenommen. Schon 1951 forderte er anläßlich einer Konferenz in Genf, zusammen mit Albert Einstein: ,,Wir sind überzeugt, daß die Vereinten Nationen nur dann eine gerechte und bürgernahe Weltregierung werden können, wenn die Generalversammlung nicht mehr länger aus Regierungsvertretern, sondern aus direkt von den Völkern der Erde gewählten Repräsentanten besteht." Dies ist Ausdruck eines Glaubens an das Menschliche. Manche Realpolitiker und Zyniker haben ihn dafür als naiv bezeichnet.
Yehudi Menuhin war 1947 der erste internationale und jüdische Künstler, welcher nach dem Krieg in Berlin auftrat, um den künstlerischen Dialog mit den Menschen in Deutschland wieder aufzunehmen. Die Kritik an dieser menschlichen Geste, wie auch das Einreiseverbot zu Konzerten in Israel, ertrug er mit Gelassenheit. Und er war der erste Künstler, der 1945 nach Kriegsende für die Überlebenden in dem ehemaligen Konzentrationslager Bergen-Belsen musizierte.
Yehudi Menuhin war nicht nur ein begnadeter Musiker und Philanthrop, welcher einen Großteil seiner Einnahmen durch verschiedene Stiftungen der Kultur und den Menschen zukommen ließ, sondern gerade auch als Künstler ein politischer Bürger. So forderte er ein von Staat und Wirtschaft unabhängiges Kultur- und Geistesleben, mit einem eigenen Etat und einem eigenen Kulturparlament. In seinem Buch "Kunst als Hoffnung für die Menschheit" schreibt er: ,,Vielleicht wird im Menschen eines Tages das Künstlerische die Oberhand gewinnen über das Animalisch-Politische. Und in einem Interview vom 10. November 1992 fügt er hinzu: ,,Die Politik beruht noch auf bestimmten Begierden... Das Künstlerische hingegen ist das Intuitive, das eine höhere Kraft ist, die aus den tiefsten Erfahrungen des Menschseins kommt."

von Stephan Mögle-Stadel (erschienen in WFM News I/99)

Über sein Leben und Werk schrieb Menuhin in den Autobiographien "Unvollendete Reise" und "Unterwegs - Erinnerungen 1976-1995", seine Frau Diana in dem Buch "Durch Dur und Moll". Alle drei sind im Piper-Verlag (München) erschienen


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